Kritik

The Banshees of Inisherin – wegen der Sh-Laute

Colm Sonny Larry. Wie geil diese irische Tradition. Eigener Name, Name des Vaters, Name des Großvaters. Ich würde Marcus Andreas Günther heißen. Klingt aber nicht halb so gut.

Ich liebe einfach Irlands Attitude. Ich liebe die Geschichte Irlands, seine Mythen und Legenden. Ich liebe diese grünen saftigen Wiesen dort. Den Geruch von frisch feuchtem Gras. Diese zerklüfteten Felsenlandschaften.
Ich liebe es, dass sie ihre Energie mittlerweile komplett über Windkraft abdecken können. Ich liebe Irlands Folk-Musik, die Geigen, seine Singer Songwriter. Sogar Rugby ist okay. Ich würde auch Sider und Guiness lieben, sofern ich noch Alkohol trinken würde. Irland ist einfach anders, eigenwillig, grumpy, verregnet, wunderschön.

Genau so wie der der Film „The Banshees of Inisherin“ auch.

Warum habe ich diesen Film gewählt? Ich beobachte bereits seit längerer Zeit, dass Menschen ab einem zunehmenden Alter eine gewisse Gleichgültigkeit an den Tag legen, wenn Freundschaften oder auch Familiensituationen einmal problematisch werden. Da wird oft nicht darum gekämpft, da wird der Kontakt einfach abgebrochen. Aus einer Sturheit heraus, der Andere muss den vermeintlichen Fehler doch gefälligst eingestehen, man selber jedoch kommt auch gut ohne diesen Menschen aus.
Ebenso das große Schubladendenken unserer Zeit. Immer wieder ordnen wir uns ein, in Fleisch oder Tierwohl,
Geld oder me-time, Umwelt oder Konsum, offen für Fremde oder ablehnend, bunt oder nichtfarben. Und in dieser Bubble verharren wir aus, ohne Kommunikation und Austausch mit dem was anders ist. Alles kontrovers Denkende wird abgeblockt, Kompromisse gescheut und so fällt der einst gemeinschaftlich gebaute Turm zu Babel, als Sinnbild für eine lebendige Gesellschaft, letztlich in sich zusammen.

In dieser zwischenmenschlichen Geschichte hier im Film geht es um die Sturheit der beiden (ehemaligen) Freunde Colm und Pádraic auf der fiktiven irischen Insel Inisherin.

Der britische Regisseur Martin McDonagh schrieb das Drehbuch für seinen vierten Spielfilm selbst. Wo „Brügge sehen und sterben“ sicherlich gut ist, ist „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ gleichermaßen anstößig wie genial. Beides Filme die durchaus früher oder später in diesem Filmblog auftauchen könnten. Oftmals dreht er mit den selben Schauspielern. Der irische Schauspieler Colin Farrell (Pádraic) war nie besser als hier. Charakterdarsteller Brendon Gleeson (Colm) ist sowieso immer Hammer. NUCKEL’S.

Schwarze Komödien zeichnen sich oft durch ihren derben, oftmals britischen Humor aus. Dabei werden Themen aufgegriffen und sarkastisch verarbeitet, die sonst schwierig anzufassen sind, wie etwa Tod, Missbrauch, Selbstverletzung oder moralischer Verfall. Tatsächlich ist diese Schwarze Komödie mit ihrer skurrilen Schrulligkeit häufig auch sehr traurig. Etwa Colms wachsende Schwermut über die eigene Endlichkeit. Was bleibt über, wenn man selbst nicht mehr da ist? Die Musik, die man komponiert? Die Texte, die man schreibt? Wie lange wird sich erinnert, wenn Jemand einfach nur nett war? Ist es die Genetik in den Nachkommen, welche von einem selbst bleibt? Was ist der Sinn vom Ganzen? Ist es etwa wertvoller, wenn diesen Filmblog hier 100.000 Follower lesen, oder reichen 3 aus? Ist der tatsächliche Wert in beiden Fällen ein Anderer? Weil man möglicherweise bekannt ist, über den eigenen Tod hinaus? Franz Kafka als Paradebeispiel war Zeit seines Lebens eher unbekannt. Was hat er denn bitteschön persönlich davon, dass man jetzt noch von ihm spricht?

Doch zurück zur Insel, wo sich die Konflikte immer mehr hochpushen, bis letztlich Keiner mehr weiß, worum es hierbei eigentlich überhaupt ging, sowie ein Kollateralschaden dem Nächsten folgt, und alle Beteiligten immer mehr verbittern lässt. Bis schließlich das Ganze dann so hocheskaliert, mit abgetrennten Fingern, Esel die daran ersticken, Dorftrottel die „ertrinken“ und dem brennenden Haus. All dies ist durch nichts mehr zu entschuldigen. Am Ende stehen da nur Verlierer, die ihrer Wege gehen.

Den letzten Abschnitt bitte erst nach Anschauen des Filmes lesen:
Es gibt diese Theorie rund um den Film, die auf mich sehr plausibel wirkt. Natürlich geht es allegorisch um Vieles mehr als um eine kleine irische Insel. Und natürlich sind die 1920er Jahre nicht zufällig ausgewählt worden. Colm und Pádraic symbolisieren verschiedene Richtungen in Irlands Civil War, die sich nach Jahrhunderten der Duldung einfach über haben. Der katholische Teil Irlands und der britsch loyalistische Teil Nordirlands, die nicht mehr zusammen sein wollen, und über Gewalt ihre Unabhängigkeit voneinander erzwingen. Die Banshees, Todesfeen tief in der irischen Mythologie verwurzelte Boten des Todes als Symbol für das Ende dieses britisch-irischen Co-Existenz-Bündnisses. Selbst der Esel gilt als ein aus Afrika eingewandertes Symbol für Irlands Reise von der Armut zum Hochmut und zurück. Die Schwester Siobhán, die die Insel verlässt, steht für die irische Diaspora, überall auf der Welt verstreut. Inisherin als erfundene Insel auf der Kanonenschläge von den blutigen Auseinandersetzungen einzig vom Festland aus zu hören sind, ohne zu wissen, worum es bei dem Konflikt überhaupt geht. Am Ende schaut die Maria-Statur, als Zeichen der Katholiken herab auf die Insel und die beiden sich trennenden Nachbarn.

2 Gedanken zu „The Banshees of Inisherin – wegen der Sh-Laute

  • Tatsächlich finde ich Colin Farrell unpassend, einfach, weil er auf mich rein äußerlich zu akademisch wirkt. Eigentlich soll er ja ein einfacher Milchbauer sein. So sieht er nicht aus.

    Die Referenz auf den Irlandkonflikt habe ich auch gelesen, konnte damit aber auch nicht viel anfangen. Das ist alles zu weit und für die eigentliche Geschichte auch unnötig.

    Antwort
    • Bei mir war es genau anders herum. Collin Farrell kannte ich bislang nur aus Checker-Rollen, weshalb ich dachte, das kann der nicht. Aber mich hat er zu jeder Sekunde überzeugt. Der Irland Civil War ist quasi das Sahnehäubchen für alle Geschichte/Deutschlehrer.

      Antwort

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