Kritik

Poor Things – Formidable

Wenn man in einer Suchmaschine „Poor Things“ und „Metropolis“ eingibt, erscheint ein Video, welches parallel viele ähnlich aussehende Sequenzen von beiden Filmen aufzeigt. Das victorianisch anmutende England bietet in seiner Kolossalität ein vergleichsweise opulentes Setting wie die Filmarchitektur der deutschen Zukunftsstadt Metropolis. Und dann ist noch dieser Frankenstein-Chirurgen-Verschnitt, der aus einer verstorbenen jungen Frau und dem Gehirn ihres ungborenen Fetus einen neuartigen Menschen bastelt. Alle weiteren Vergleiche im Inhalt der beiden Filme wären allerdings viel zu weit hergeholt. Schon allein wegen der Tiefe im Charakter von Bella Baxtor.

Emma Stone, die eigentlich lieber bei ihrem richtigen Namen Emily genannt werden möchte, spielt die verschiedenen menschlichen Entwicklungsstadien von Bella dabei herausragend und erhielt zu Recht zahlreiche Auszeichnungen dafür, wie etwa den Oscar. Sprache, Motorik, sowie Mimenpiel wirken stets altersgerecht und -entwickelt dargestellt, ohne jemals die Andersartigkeit und die groben Bewegungen des „Monsters“ abzulegen.

Die übrigen weitesgehend männlichen Figuren arbeiten ihr gut zu. Und so geht es vor Allem um toxische Besitzansprüche. Es geht um das Kennenlernen der Welt in wirklich all seinen Facetten, erst aus einer kindlich naiven Sichtweise und später aus einer emanzipierteren. Es geht um persönliche Entwicklung und um Selbstbestimmung als Frau.

Diese toxische Männlichkeit, auf die der Film ganz bewußt hinlenkt und auch keine weiteren Deutungen zulässt, ist herausstechend in dem Satz: „Du willst mich entweder heiraten, oder umbringen?“, sowie der Stille danach verankert, und zieht sich durch den gesamten Film. Ich hoffe ja immer, dass dies mittlerweile antiquierte Vorstellungen in Beziehungen sind, aber gewisse Werte politischer Parteien, oder von konservativ ausgelegten Glaubensrichtungen sind leider heute noch sehr ausgeprägt. Und auch die Statistik der Femizide spricht leider eine eigene Sprache. Aller 72 Stunden soll in Deutschland ein Mann innerhalb einer Beziehung eine Frau töten. Mit Dunkelziffer. Aller 3 Tage, sagt mal Leute gehts noch?! Ich bin Vater von Töchtern.

Und auch die Sicht auf die Persönlichkeitsentwicklung wirkt immer noch nicht gleichgestellt. Zieht ein junger Mann von zu Hause los, befreit sich, tobt sich aus, liebt, lebt, entwickelt eigene Ansichten und möchte sich frei entfalten ist das völlig okay. Macht dies eine Frau, ist es auch heute noch irgendwie anstößig, vor allem im Hinblick auf wechselnde Sexualpartner. Und auch in unseren gesellschaftliche Normen und Werten steht da immer dieses moralische Konstrukt Ehe, eine durch Hochzeit erzwungene Treue und Unterordnung. Spätestens dann bei den gemeinsamen Kindern um Punkto Elternzeit, Lohnverzicht durch Arbeitszeitverkürzung, Abdeckung der Kinderkranktagen u.v.m.. Wohl der Beziehung, wo die Geschlechterollen gleichberechtigt gelebt werden. Aber das wird es oft nicht.

Erwähnen sollte man noch die detailiert inszenierten sexuellen Ausschweife, die ein FSK 16 bei dem Film absolut vertreten lassen. Aber wenn man es realistisch erzählen möchte gehört die aufkommende Sexualität natürlich dazu. Mit der Entjungferung wechselt dann der schwarz-weiß-Kontrast schließlich stilistisch in knallig farbenfrohe Bilder. Ein Poor Thing, ein armes Ding ist Bella nach ihrer Charakterausprägung schon lange nicht mehr. Oder sind mit den armen Dingern etwa die ewig gestrigen Patriarchen gemeint? Endlich mal wieder ein Film mit einer starken weiblichen Hauptrolle, welcher auch die Filmlänge von knackigen 2:20 h kurzweilig erscheinen lässt. Formidable.

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