Metropolis – Klassenkampf mit Robotern
»Eine ganz gewöhnliche „Junge trifft Mädchen, Junge mag Mädchen, Junge verändert vorhandene Gesellschaftsordnung“ Story.«
(Antz)
Ich dachte eigentlich, ich hätte Metropolis von Fritz Lang bereits in den 2000er gesehen. Mir war so, als ob ich damals eine (oder zwei) Video-CDs zugesteckt bekam. Allerdings konnte ich mich an den Inhalt nicht mehr erinnern. Die Zeitanzeige im Video von zweieinhalb Stunden ließ mich dann auch etwas zusammenzucken. Wahrscheinlich hatte ich nichts von dem Film behalten, weil er langsam, langatmig und langweilig (und eben lang) war.
Ich hatte den Film aber anscheinend doch noch nicht gesehen (oder in einer extrem verkürzten Form). Die Szenen bei der Kinderrettung in der Arbeiterstadt kam mir dann mal bekannt vor, aber ansonsten war mir der Film unbekannt (bis auf die Ausschnitte, die man im Radio-Gaga-Video von Queen sehen konnte).
Inhalt
In einer futuristischen Stadt lebt die Oberklasse in mesopotamisch anmutenden Wolkenkratzern, während die Fabrikarbeiter unter der Erde hausen. Entsprechend gärt es in der Arbeiterklasse. Diese vorrevolutionäre Stimmung wird jedoch gedämpft von der Predigerin Maria, die die Ankunft eines Mittlers prophezeit, der zwischen den Kapitalisten und Arbeitern vermitteln soll.
Der Herrscher der Stadt, Joh Fredersen, beauftragt den Erfinder Rotwang, Maria durch ein maschinelle Kopie zu ersetzen, die die Arbeiter zum Aufstand aufwiegeln soll. Dieser soll dann als Anlass für ein gewaltsames Vorgehen gegen die Arbeiter herhalten.
Rotwang spielt jedoch ein doppeltes Spiel. Da er Joh für den Tod seiner Geliebten verantwortlich macht, will er den Maria-Doppelgänger dazu nutzen den Sohn Johs, Freder, der sich in Maria verliebt hat, ebenfalls ins Unglück zu stürzen.
Als die Arbeiter, vom Doppelgänger angestachelt, die Maschinen zerstören und damit den Strom der oberen Stadt abschalten, überfluten sie jedoch auch die unterirdische Arbeiterstadt.
Die Arbeiter und ihre Frauen, die ihre dort zurückgelassenen Kinder ertrunken glauben, machen Maria für dieses Unglück verantwortlich und machen Jagd auf sie. Sie wissen nicht, dass Maria, zusammen mit Freder, die Kinder während des Aufstands in Sicherheit gebracht hat.
Der Mob wird schließlich des Doppelgängers habhaft und verbrennt ihn auf einem Scheiterhaufen, wobei sich seine Maschinengestalt offenbart.
Währenddessen verfolgt Rotwang die echte Maria auf das Dach einer Kathedrale. Dort kommt es zum Kampf mit ihm und Freder an dessen Ende Rotwang in den Tod stürzt.
Der Film endet mit einem von Freder vermittelten Handschlag zwischen seinem Vater und den Arbeitern.
Gesamteindruck
Ich bin positiv überrascht wurden. Für seine bald 100 Jahre kommt der Film doch schon sehr modern rüber. Die Effekte sind beeindruckend, gerade weil man weiß, dass diese nicht mit wenigen Mausklicks am Computer erledigt waren. Da mussten Kulissen und Modelle gebaut, Filme physisch geschnitten und übereinandergelegt und Spezialeffekte Bild für Bild von Hand gezeichnet werden. Und damit schaue ich den Film wie eine Zaubervorstellung, bei der ich rätsle, wie die Tricks denn funktionieren könnten. Stop-Motion oder Kulissen in verschiedenen Größen und Entfernungen zur Kamera kenne ich. Aber z.B. die Bewegungen des Straßenverkehrs in der Draufsicht sind so flüssig, dass man wirklich glaubt, die haben das echt abgefilmt – und dabei das heutige Verkehrsaufkommen gut getroffen.
Damit sind wir schon bei der Einordnung des Films: Es handelt sich um Science Fiction. Eine Fortschreibung von technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Wir sehen himmelhohe Hochhäuser und komplette Städte unter der Erde (Stuttgart 21?), mit Autos vollgestopfte Straßen und einen mit Flugzeugen übersäten Himmel, Bildtelefone, haushohe Maschinen und menschengleiche Roboter. Außerdem wird uns eine extrem gespaltene Klassengesellschaft gezeigt – und eine sehr männliche.
Die Geschlechterfrage(n)
Die Arbeiter in den Fabriken: Männer. Die Arbeiter in den Büros: Männer. Frauen tauchen nur als Mittel für die Männer auf. Als Gespielinnen im Garten und im „Klub der Söhne“, als Krankenschwester im Hintergrund, als die Frauen der Arbeiter, die erst auftauchen, als der Aufstand losgetreten wird – und das wahrscheinlich auch nur, um zu erklären, warum die Kinder alleine und hilflos zurückgelassen werden.
Und die Frau als Sehnsuchsobjekt der Männer. Maria und ihr Doppelgänger verkörpern hier den Prototyp der Heiligen und der Hure, die in beiden Fällen den Mann (ver)führt: Zum Frieden oder zum Krieg. Allerdings ist die mechanische Maria, die große Babylon, wiederum ein von Männern geschaffenes (verdorbenes) Wesen. Und die Männer lassen sich verführen (in der unterirdischen Kapelle: nur Männer), sind ihren Gefühlen und Trieben willenlos ausgeliefert (auch im Klub der High-Society), kämpfen miteinander und beginnen den Aufstand. Und nachdem die Katastrophe eintrat, ist natürlich auch klar wer die Schuld trägt: Die Frau, die Hexe.
Zu diesem Stereotypen könnte noch so einiges gesagt werden, was aber das eigentlich Thema dieses Beitrags verlassen würde.
Mich hätten aber dennoch sehr die Tätigkeiten aller anderen Frauen interessiert. Sowohl jener der gehobeneren Schichten, abseits ihrer Rolle als Escort, als auch die der Arbeiterfrauen. Der Film zeigt zumindest keine Frauenarbeit in Fabriken. Maria scheint ja eine Art Lehrer- oder Erziehertätigkeit wahrzunehmen, der Szene mit den Kindern im Garten nach. Und wo sind die Kinder der Reichen? Wohin ging wohl die Krankenschwester, wenn ihr Dienst vorbei ist? Nach unten oder nach oben?
Was man nicht sieht
Der Film wirft für mich noch weitere Fragen auf, über Dinge die er nicht zeigt:
Welches Regierungssystem existiert in Metropolis? Joh Fredersen wird als Herrscher der Stadt vorgestellt. Wurde er gewählt oder ist er es Kraft seines Vermögens (materiell oder geistig?) Er möchte einen Anlass, um Gewalt gegen die Arbeiter anwenden zu können. Heißt dass, er muss seine Entscheidungen vor jemanden rechtfertigen? Vor wem? Einem Parlament? Wer wären die Wähler? Auch die Arbeiter?
Bekommen die Arbeiter einen Lohn, den sie selbstbestimmt ausgeben dürfen? In der Arbeiterstadt sah ich keine Geschäfte. Dürfen sie in die obere Stadt? Oder sind es eher Sklaven?
Wie geht es nach dem Handschlag nun weiter? Kürzere Arbeitszeiten? Wohnen über der Erde? Höherer Lohn?
»Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?« (Faust)
Sehr präsent ist das Christentum im Film. Die Szenen in den Katakomben erinnert an die Urchristen in den Katakomben Roms. Und auch die Erwähnung der „Hure Babylon“ setzt Metropolis mit dem dekadenten Rom gleich. Und natürlich sticht in der hypermodernen Stadtarchitektur der (gotische?) Dom hervor. Die 7 Todsünden, der Bibelausschnitt, die Kreuze, „Maria“, die (Sinn)Flut. Das ist alles schon ein Wink mit dem Holzhammer. Aber ich fühlte mich nicht erschlagen – um bei der Methaper zu bleiben. Allerdings stelle ich mir die Frage, wie das auf die damaligen Zuschauer gewirkt hat, die ja noch wesentlich mehr in die Kirchen integriert waren als wir heute. Ist ihnen das gar nicht aufgefallen, empfanden sie es als selbstverständlich? War es vielleicht die selbe Botschaft die sie zur damaligen Zeit auch in ihren Kirchen gepredigt bekamen? Die Moderne als das dekadente und zum Untergang verurteilte Rom und das Christentum als der Mittler zwischen der materiellen und geistigen Welt, um die Konflikte der Gesellschaft zum Ausgleich zu bringen?
Kurz möchte ich noch erwähnen, dass die Darstellung des Rotwang und die Sterne an seinen Türen (wenn auch keine Davidsterne) in mir einen Antisemitismus-Verdacht weckten. Vielleicht interpretiere ich aber auch zu viel da hinein.
Ich verstehe Rotwangs Motivation nicht richtig. Ursprünglich möchte er mithilfe des Maschinenmenschen „seine Hel“ wieder zum Leben erwecken. War das damals eine beidseitige Liebe, oder eher so ein Stalker-Ding? Die ist aber auch bereits schon solange unter der Erde wie Freder alt ist. Und als das mit Frankensteins Monster nicht so recht funktioniert, will er deswegen nun Alles weitere zerstören, inklusive sich? Ich meine, war er schon immer so gestört? Oder ist er durch ein Ereignis traumatisiert worden? Und wie ist das mit der mysteriösen Hand passiert? Was wäre das für ein Prequel zum Verfilmen. Eine Dreiecksgeschichte um die Jahrhundertwende. „The Rise of Rotwang“
Ich finde Rotwangs Motivation eigentlich nicht unplausibel.
Er ist ein Nerd, der keine Freundin hat und sich desshalb eine virtuelle Version bastelt. Soweit so normal.
Was genau in der Vergangheit zwischen Joh, Rotwang und Hel abging (wieso spricht er eigentlich immer von „der“ Hel, mit Artikel? Hat dafür jemand eine Erklärung?) wissen wir nicht genau.
Wir wissen, dass Hel sich für den reichen Playboy entschied und nicht für den kauzigen Spinner. Scheint jetzt nicht so unplausibel. Bei der Geburt starb Hel und damit auch die letzte Hoffnung Rotwangs, dass sie sich vielleicht doch noch für ihn entscheiden würde. Da ist er entsprechend schlecht auf den Samenspender und das Kind zu sprechen.
Das er 20 Jahre braucht, um ’nen Roboter zu bauen der wie ein Mensch aussieht, kann nicht bemängelt werden. sondern ist eher eine erstaunliche Leistung.
Welche Rolle die Hand dabei spielt, wird wohl sein (patentgeschütztes) Geheimnis bleiben. Dramaturgisch ist es jedoch wichtig. Der Zuschauer sieht sofort: Hier haben wir es mit einem Fanatiker zu tun, der auch nicht vor seiner eigenen Verstümmelung halt macht. Um sein Ziel zu erreichen, ist er bereit jeden Preis zu zahlen.
Wenn er Joh aber so haßt, warum hift er ihm dann? Zum einen ist Joh „der Herrscher der Stadt“. Da motzt man sich vielleicht ihm gegenüber mal ordentlich aus, aber wird den Teufel tun ihm offen einen Wunsch abzuschlagen.
Zum anderen sieht er dann sogar die Möglichkeit sich an dem verhassten Kerl und dessen Kind zu rächen. Da blüht er natürlich gleich auf.
Als dann der Racheplan zu scheitern scheint, will er nur noch wieder den Roboter in seinen Besitz bringen, um diesen nun endlich das Antlitz seiner geliebten Hel zu geben (schon aufgefallen das der Computer in Odyssee 2001 „Hal“ heißt? Ich weiß, kommt von IBM…).
Ob er nicht mitbekommen hat, das sein Roboter gerade verbrennt und er immer noch denkt, dieser hätte die Gestallt von Maria, oder ob er bei diesem zweiten „Tod“ seiner Geliebten auf dem Schieterhaufen in die Leugnungsphase eingetreten ist, oder ob er jetzt einfach nur nach Rache will – keine Ahnung. Habe jetzt keine Lust mir diesen Abschnitt noch einmal anzuschauen.
Also alles zerstören will er eigentlich nicht. Sein Fokus lauten den ganzen Film über ziemlich konstant: Hel zum Leben erwecken und dabei vielleicht noch Rache an Joh und Freder üben.
In etwa so: https://www.youtube.com/watch?v=H7SjcnTugn4