Me too, Winnetou
Witzig und provokativ sollte es klingen. Mit ketzererischem Titel. Wollte ich tönen, dass sie nun auch noch das letzte Puzzleteil aus meiner Kindheit umdrehen und canceln wollen. Nach Mohrenköpfen, Zigeunerschnitzeln,
Michael Jackson, sexistischen Slapstickkomödien und der Bierschinkenscheibe an der Wursttheke, nun auch noch der Held meiner Kindheit, Winnetou. Doch diese Art von Polemik würde dem Thema nicht gerecht werden.
Denn Fakt ist, die Bücher und Filme um Winnetou stellen den Völkermord an der amerikanischen indigenen Bevölkerung nicht korrekt dar! Können sie gar nicht. Es sind quasi Märchen aus einer anderen Zeit. Die Utopie des Autors Karl May, der in etwa so viel Wissen vom tatsächlichen Amerika von damals hatte, wie ich aktuell von der Quantenmechanik. Haben sie deshalb ihre Daseinsberechtigung? Sicherlich, als Kulturgut. Sollten sie in dieser Form, mit dem heutigen Wissen, wieder genauso neu aufgelegt werden? Auf keinen Fall! Das wäre in etwa, wie wenn man einen Film macht, der Anfang des 20.Jahrhunderts in Namibia spielt, bei dem ein Häuptlingssohn der Hereros sich mit einem deutschen Missionarssohn befreundet und diese gemeinsam Abenteuer in der Savanne erleben. Völlig absurd aus heutiger Sicht.
Die 60er Jahre. Ein deutscher Western. Gedreht im ehemaligen Jugoslawien. In den Hauptrollen ein französischer und ein amerikanischer Schauspieler. Internationales Flair. Winnetou der Film, ein abendfüllender Straßenfeger. Die Leute tauchen ab aus ihrem geordneten Alltag in eine andere, eine ferne Welt. Die Story aus heutiger Sicht, eher langweilig. Ohne echten Twist. Die Bösen bleiben böse, die Lieben lieb, die Randfiguren blass. Special effects, okay. Das explodierende Haus, der brennende Mann, der Zug der in die Saloonkulisse rauscht, der Sturz in die Tiefe. Logiklöcher an vielerlei Stellen. Am Anfang schon, der erschossene Schwarze Adler. Was wollen Apachen denn überhaupt mit Gold? Benötigen sie dieses in ihrer Kultur? Und ich frage demnächst mal den Diplom-Vermessungsingenieur, der gerade eine neue Baustelle ausmisst, ob er auch so flink mit der Flinte ist, wie Old Shatterhand. Warum wird dieser eigentlich verwundet, erst gepflegt, um ihn dann an den Pfahl zu hängen, um dann im Zweikampf noch einen weiteren Krieger zu riskieren? Was macht denn das für einen Sinn? Ohne Konventionen wäre es doch logischer und effektiver den Verwundeten einfach zurückzulassen! Aber so kommt der Plot in die Spur, die neunen Freunde retten das Apachenland und decken den Betrug auf. Wie im Leben eben. Und auch noch super Integration, dass Nscho-tschi in St. Louis leben und wirken will, um beide Völker einander näher zu bringen. Schade, dass sie sterben muss. Old Shatterhand sagt, er hätte sie auch geliebt. Ja, klar! Wäre nur doof gewesen, sich irgendwo mit Familie niederzulassen. Hätte er leider gar nicht die nächsten Teile mit seinem Bro herumziehen und sinnlos in der Prärie umher reiten können. Beim Blutsbruderschwur sollte man auf den neueren Medien noch einen Infolink schalten, der über mögliche Infektionskrankheiten aufklärt und warnt! Winnetou, ansonsten vom Anspruch eher ein Kinderfilm als alles andere. Da gibt es im Laufe der Jahre eine vielfach authentischere Qualität an Neo-Western auf dem Markt.
Im Übrigen stellt beispielsweise auch Peter Pan stereotype Indianer-Klischees dar. Und in Schneewittchen werden Kleinwüchsige als Zwerge reduziert. Beim Glöckner von Notre Dame werden Behinderte im Glockenturm weggesperrt. Gehören diese Filme heute deswegen verboten? Nein, sie sind vollkommen okay mit dem Wissen und dem Toleranzlevel aus ihrer jeweiligen Zeit. Nur würde es heutzutage nicht mehr funktionieren, derart Geschichten zu erzählen.