Kritik

Ich, einfach unverbesserlich – Erster Akt

Der Film „Despicable Me“ von Chris Renaud und 2010, beginnt wie eine Agentenfilm: Spannung aufbauende Musik, entsprechende Schriftart für die Einblendungen. Die Wüste, eine Totale auf die Pyramiden, ein Ziegenhirte, der mit stolzgeschwellter Brust ob dieser Erhabenheit in die Ferne blickt. Und dann ein Bus, der ihn fast über den Haufen fährt. Die Musik wechselt schlagartig zu „Sweet Home Alabama“ und die Zuschauer werden auf den Film eingestimmt: Wir tun so, als ob dies ein spannender Thriller ist, aber es wird albern, comic-haft, wild – ein Riesenspaß.

Auf die Wichtigkeit der ersten Filmsekunden wies mich einmal eine kommentierte Fassung von „Monster AG“ hin. Dort begann ein erster Schnitt des Films direkt mit der nächtlichen Kinderzimmerszene. Dies wurde jedoch (vielleicht sogar von einem Probepublikum) als zu düster empfunden und würde so die Stimmung für den ganzen Film leicht einfärben. Deswegen, so der Kommentar, hätte man dann noch diesen beschwingten, fröhlichen Vorspann davor eingefügt.

Nachdem wir so also wissen, was uns den Rest des Films über erwartet, wird uns eine Familie präsentiert, die die übrige Welt sofort als „typisch amerikanisch“ einstufen wird und die Amerikaner selbst als „White trash„: Unkultiviert und nicht in der Lage ihre Kinder zu erziehen; was mich auf das wichtigste Detail dieses Film bringt: Gibt es diese Kinderausführgurte wirklich? Wären sie in Deutschland legal? Wie würde man in der Öffentlichkeit dabei angeschaut werden? Und wie blöd ist diese Konstruktion, wenn das Kind da alleine rauskommt?

So erfahren wir aber bald, dass die Pyramide nicht echt ist, sondern nur eine riesige Hüpfburg, und dass die Physik auch nur eine Gastrolle spielt. Der Junge erreicht nach dem Fall und der Rückkatapultierung eine größere Höhe, als er vor dem Fall hatte, und Menschen könne sich in diesem Film nicht ernsthaft verletzen (Tom-und-Jerry-Welt).

In einer Zwischenszene wird uns dann sofort erklärt, was diese Pyramidenattrappe zu bedeuten hat und der erste Konflikt wird vorbereitet: Wer war das? Und was hat er als nächstes vor? Bevor wir jedoch durch den nächsten Schnitt bereits eine scheinbare Antwort auf die erste Frage erhalten, möchte ich noch auf die begleitende Szene der Nachrichtensendung eingehen. Dort sieht man, wie die ägyptische Polizei versucht, die luftlose Pyramidenattrappe wieder aufzupumpen. Da ich diese Bilder im Kopf hatte, glaubte ich in der Erinnerung, die Behörden wussten bereits von dem Diebstahl und hätten selbst die Attrappe aufgestellt, um ihre Touristeneinnahmen nicht zu verlieren. Nach erneutem Anschauen weiß ich es jetzt besser, frage mich dann aber, wieso sie das Ding wieder aufpumpen? Weil’s noch keiner gemerkt hat? Als neue Attraktion (die Hüpfpyramide)? Und war die Pyramide eigentlich gegen Diebstahl versichert?

Nun jedoch Schnitt zur erste (nachepilogischen) Szene: Wir sehen Gru in der Nahaufnahme mit einem selbstzufriedenen Lächeln. Ah, denken wir als Zuschauen, das ist der Dieb! In dieser und den nachfolgenden Szenen wird uns Gru vorgestellt und charakterisiert. Wir sehen, wir er – nur zum Spaß – einen Kind einen Luftballonhund gibt, nur um diesen dann sofort zu zerplatzen. Eine Rückreferenz auf die Ballonpyramide, die uns zeigt: der Kerl ist wahrlich „verabscheuungswürdig/despicable“. Und es zeigt uns auch sein Verhältnis zu Kindern: Er ist gemein zu ihnen.

Das ganze wird auch in dem Coffeeshop gezeigt: Er friert die wartenden Menschen ein, um sich vorzudrängeln und nimmt dann die Speisen, die für jemanden anderen bestimmt waren, ohne zu bezahlen an sich. Aber er gibt Trinkgeld. Das mag lustig-widersprüchlich erscheinen, ist für mich aber ein sehr schönes Beispiel für die Regel „show, don’t tell„. Diese Geste vermittelt uns: Dieser Mensch ist nicht böse, weil er es schwer hat. Er stiehlt nicht, weil er arm ist. Nein, seine Kleidung ist gut, seine Miene arrogant. Er handelt auch nicht so, weil er nicht wüsste, was sich gehört. Er gibt Trinkgeld. Er ist wohlsituiert. Er ist gemein, weil er gemein sein will. Aber: Er ist nur gemein! Er tötet nicht! Er stiehlt Essen, er drängelt sich vor, er ärgert Kinder. Er ist ein Schuft, aber kein Monster!

Und all das wird uns vermittelt nur durch das zeigen seiner Handlungen. Wir hören nicht seine Gedanken und niemand erklärt uns die Person. Show, don’t tell! So sind gute Filme gemacht.

Wir folgen Gru weiter. Und seine Charakterzeichnung wird noch weiter präzisiert durch ein monströses Auto und ein, in einer Vorstadtsiedlung deplatziert großes Haus. Beides schreit: Ego, Ego, Ego! Das Gespräch mit dem Nachbarn hebt noch einmal seine Bösartigkeit bzw. Verabscheuungswürdigkeit hervor. Aber dabei sehen wir auch: Gru ist darauf bedacht diese Bild offensiv nach Außen zu tragen. Er ist nicht hinterhältig. Er will, dass die Leute ihn für gemein halten.

Das wird uns aber erst in der nächsten Szene richtig klar. Im Haus, wo Gru nicht mehr in der Öffentlichkeit steht, sehen wir seine Unsicherheit und Angst gegenüber seinem eigenen Haustier. Hier bekommt sein Charakter eine weitere Dimension, die ich bereits oben schon andeutete: Er ist nicht der kaltschnäuzige und gewissenlose Bond-Bösewicht, der über Leichen geht. Seine Gemeinheit ist Show für die Außenwelt. Sein Image als Bösewicht ist ihm wichtig (was auch durch die, an der Wand hängenden, gerahmten Zeitungsartikel, die über ihn berichten, gezeigt wird). Wir bekommen hier ein Motiv für seine Handlungen präsentiert und ein tieferer Konflikt wird offengelegt: Gru will Anerkennung als Bösewicht – obwohl es seinem eigentlichen Naturell so nicht entspricht.

Nachdem uns der Film bis hier hin Gru vorstellte, werden nun die drei Mädchen eingeführt. Noch können wir als Zuschauer nicht wissen, dass sie im Weiteren eine große Rolle spielen werden. Sie könnten uns auch nur als ein weiteres Beispiel dienen, um den Charakter Grus zu vertiefen. Aber der Umgang Grus mit den Kindern ist anders als der mit dem Luftballonkind. Gru will wieder gemein sein, aber die Kinder geben ihm Kontra. Die Coolness Grus, die zu Beginn gezeigt wurde, fehlt hier. Und von jetzt an geht es für Gru bergab.

Sein Muffin wurde von seinem Haustier gefressen, was sich als nächstes an seinem Arm festbeißt, und dann erfährt er (und auch wir Zuschauer), dass nicht Gru die Pyramide gestohlen hat, sondern ein anderer Dieb, gegen den jeder andere Verbrecher (und damit auch Gru) nur zweitklassig wirkt.

Wie schwer das Gru trifft, wissen wir nach seiner bisherigen Vorstellung, und damit können wir sein Motiv für seinen Plan den Mond zu stehlen, um wieder der größte Verbrecher der Welt zu sein, nachvollziehen. Warum ausgerechnet der Mond das Ziel seines Begehrens ist, wird uns auch im Laufe des Film durch Rückblenden immer weiter verdeutlicht. Außerdem bekommen wir ein Mutter vorgestellt, die uns Mitleid mit Gru fühlen lässt und Sympathie für ihn in uns weckt. Uns wird eine Geschichte geliefert, die uns erklärt, warum Gru so (oberflächlich) böse und gemein wurde, und das seine eigentliche Sehnsucht, nicht die Anerkennung der Welt ist, sondern eher die Anerkennung seiner Mutter (wie ja auch schon Marcus bemerkte). Oder – der Handlung vorausgreifend – die Anerkennung und Liebe – von Menschen, die er auch liebt.

So, Tränen wegwischen! Zuerst bekommen wir nun nämlich Grus unterirdisches Versteck und seine Handlanger und Helfer gezeigt: Dr. Nefario und die Minions (ob es hier juristische Probleme mit Kinderüberraschung gab?) Ich überlege, ob die Bühnenschow, die Gru da abzieht, irgendeine Anspielung auf eine konkrete Managerperson sein könnte/soll. Steve Jobs? Bill Gates? Steve Ballmer (Frisur würde fasst passen)? Und wir erfahren, dass das Geld fehlt, um den Coup durchzuziehen. Das will sich Gru von der Bank leihe; und ich denke mir, während ich das schreibe: Hä? Wieso stiehlt er sich dass nicht einfach? Tscha, man kann Pyramiden und den Mond stehlen (und einen Schrumpfstrahler aus einer geheimen militärischen Einrichtung), aber an Geld kommt man nur über einen Kreditvertrag. Hier erfüllt der Film ganz klar seinen bildungspolitischen Auftrag!

Nachdem diesen Problem also vertagt wurde, wendet sich der Film erneut den drei Mädchen zu, die Gru an der Haustür Kekse verkaufen wollten. Diese müssen sich vor der Heimleiterin rechtfertigen, die sich nur dafür interessiert, wie viel der Keksverkauf eingebracht hat und die klar macht, dass die Leistung der Mädchen unzureichend ist. Ich werde später auf diese Szene zurückkommen. Wir erfahren also: Die Mädchen werden ausgebeutet, sie sind Weise und sehnen sich nach liebenden Eltern. Für den erfahrenen Zuschauer ist hier nun die weitere Handlung klar. Aber dass ist sie uns bei neunzig Prozent aller Geschichten. Wir Homo narrans, erzählen uns nicht Geschichten, weil dabei ständig alles anders ist, sondern weil wir uns damit immer wieder unserer gemeinsamen Werte versichern: Am Ende wird alle gut. Das Gute triumphiert über das Böse. Und was wir alle eigentlich wollen ist Liebe. Aber davor ist es erst einmal nicht gut und Hindernisse müssen überwunden werden. Und wie Menschen diese Hindernisse überwinden, das wollen wir wissen. Und deswegen erzählen wir uns immer wieder die selben Geschichten in immer neuen Variationen.

Doch zurück zum Film: Gru ist auf den Weg zur Bank und bekommt einen Anruf seiner Mutter, die ihn demütigt und ihn die Tatsache, dass nicht er die Pyramide gestohlen hat, unter die Nase reibt. Noch einmal wird die Motivation Grus unterstrichen.

Das Betreten der „Bank des Bösen (ehemals Lehman Brothers)“ gleicht einem James Bond Film; und die Inneneinrichtung sollte so in jeder Bank zu finden sein. Sie ist ehrlich!

Während Gru auf seinen Termin wartet (wer warten muss und warten lässt, macht die Machtverhältnisse deutlich), trifft er auf Vector – eine wunderbare klischeehafte Darstellung eines Nerds.

Und dann sitzt Gru vor dem Schreibtisch des Bankmanagers. Und hier wiederholt sich die Szene, die wir zuvor im Mädchenheim gesehen haben. Dort saß Miss Hattie hinterm Schreibtisch und hier Mr. Perkins. Und beide machen ihren jeweiligen Gegenüber klar, dass sie sich nur dafür interessieren, wieviel Geld sie ihnen einbringen. Gru und die Mädchen sind in der gleichen Lage: Sie werden nur für ihre Fähigkeit geschätzt Geld zu erwirtschaften. Können sie diese Anforderung nicht erfüllen, werden sie fallen gelassen und gedemütigt („Schäm-mich-Kiste“). Und sie alle sehnen sich nach Liebe um ihrer Selbstwillen. Wie viele Zuschauer können sich damit identifizieren?

In der Bank erfährt Gru auch, dass Vector sein direkter Konkurrent um den Titel des weltbesten Verbrechers ist. Dies ist nötig, damit der Zuschauer den sich anbahnenden Konflikt zwischen den beiden nachvollziehen kann.

Damit ist die Vorstellung der handelnden Figuren und deren Konflikten und damit der erste Akt des Films abgeschlossen. Mal sehen, wann ich die Besprechung der restlichen Akte folgen lasse.

2 Gedanken zu „Ich, einfach unverbesserlich – Erster Akt

  • Beeindruckend, wie „Ich-Einfach unverbesserlich“ filetiert werden kann. Der eigentliche Marketing-Coup sind dabei ja die Minions. Ich wette die waren zuerst da und dann wurde die Geschichte drumherum ersponnen. Ich meine, aus Sicht von Programmierern ist an denen ja kaum was dran. Große gelbe Pillen in blauen Latzhosen, ohne viel Mimik oder Detailverliebtheit. O.K., der Eine oder Andere hat ne Brille oder mal nur ein Auge, aber ich könnte 5 nicht voneinander unterscheiden. Was sag ich, 3. Und dann kommt der eigentliche Skandal und mich wundert es doch sehr, dass der Gender-Aufschrei da bislang noch ausblieb. Warum haben die denn allein männliche Vornamen, anglistisch sprachiger Herkunft, von Mit-Vierzigern aus der weißen Mittelschicht?

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  • Oh, den Gender-Aufschrei gab es. Und der Regisseur hat auch eine völlig akzeptable Erklärung dafür:

    „Wenn ich mir vorstelle, wie dumm und blöd sie oft sind, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass es Mädchen sind.“ (https://www.filmstarts.de/nachrichten/18494758.html)

    Andersherum hätte ihn diese Aussage den Job gekostet. Aber so ist das nur ein „Nicht-Thema“.

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