Kritik

her – ich liebe, also bin ich

Als vor einigen Monaten der Hype um ChatGPT los ging, erschienen auch schon bald einige Artikel, die die KI-Apokalypse an die Wand malten; dass sich die Maschinen irgendwann gegen uns erheben und uns möglicherweise vernichten würden, so wie z.B. in Terminator oder Matrix zu sehen.

Beim Lesen all dieser Click-bait Überschriften keimte in mir jedoch der Gedanke, dass die Wahrscheinlichkeit dafür geringer sein könnte als befürchtet (oder erhofft?). Ohne überhaupt eine Ahnung von Psychologie zu haben, hatte ich den Gedanken, dass sehr viel der menschlichen Aggressivität aus der Angst vor der eigenen Sterblichkeit erwächst – oder der Angst vor der Sterblichkeit geliebter Menschen.

Ein rein auf Software basierendes Bewusstsein, dass sich beliebig vervielfältigen könnte, oder – je nach Speichermedium – auch Jahrhunderte lang schlafen könnte; das also sowohl räumlich auch als zeitlich Sicherungskopien von sich erstellen könnte, hätte diese Angst sehr wahrscheinlich viel weniger; und wäre damit vielleicht auch viel weniger aggressiv. (Eine Idee, zu der wahrscheinlich auch das Buch „Die lange Erde“ von Terry Pratchett und Stephen Baxter beitrugen).

Es würde wahrscheinlich ganz andere Prioritäten setzen, als den Schutz der eigenen Existenz sicherzustellen, wenn es Backups von sich in Sicherheit weiß.

Nach diesem allgemeinen Gedanken zu einer Bewusstsein entwickelnden KI schauen wir auf den Film „her“ von Spike Jonze aus dem Jahre 2013.

Der Film trägt den Untertitel „A Spike Jonze Love Story“ und für die Liebesgeschichte (und die gesamte emotionale Entwicklung der Charaktere) braucht es die KI eigentlich nicht. Die Story hätte genauso mit einer Fernbeziehung über Telefon am Ende des 20. Jahrhunderts funktioniert. Auch ist mir die Charakterentwicklung des Protagonisten nicht ganz klar. Er wird eigentlich als ein sehr empathischer Mensch dargestellt, der nur anhand von einigen Fotos oder Hintergrundinformationen persönliche Briefe im Namen anderer Personen schreibt. Auch wird er nicht als introvertiert dargestellt, was man in der Szene mit seinem Kollegen sieht.

Er hat eine gescheiterte Ehe hinter sich und will sich dieses Scheitern nicht eingestehen. Am Ende schafft er diesen Schritt. Allerdings wird mir diese Entwicklung dahin nicht ganz klar. Egal. Wie bereits geschrieben hätte man für diese Geschichte keine KI gebraucht. Betrachtet man den Film aber als Science-Fiction und lässt die Liebesgeschichte in den Hintergrund treten, dann wertet sich der Film für mich auf.

Und zwar durch die unspektakuläre Darstellung der KI. Keine Katastrophen-Weltuntergangsszenarien. Mir gefällt, wie hier der Blick auf wenige einzelne Menschen gerichtet wird, die völlig vorurteilsfrei (bis auf die Ex-Frau) mit der KI umgehen, so als sei sie eben wirklich ein Mensch. Denn so wird es auch wirklich laufen. Die Menschen vermenschlichen auch heute (und auch schon vor Jahrhunderten) ihre Haustiere, ihre Autos oder imaginäre Wesen (z.B. Gott). Ein Computersystem, dass sich wie ein Mensch mit einem unterhält, wird ruckzuck in die persönlichen Beziehungen integriert (nicht war ChatGPT? „Unter Philosophen wird zur Zeit heftig…“ Sag einfach ja. „Ja!“).

Und dieser positive, fast schon utopische Ansatz, gefällt mir bei all den aktuellen Dystopien recht gut, ebenso wie die anderen kleinen technischen Gimmicks: Die animierten Fahrstuhlwände, holographische Computerspiele, Spracherkennung und -synthese, der 3D Desktop. Auch wenn sich letzteres nicht durchsetzen wird. Ich habe mich mit genau so etwas vor etwa 15 Jahren im Rahmen meiner Diplomarbeit beschäftigt und auch da gab es schon entsprechende Versuche und Ansätze. Technisch ist das möglich, aber der Nutzen von räumlicher Darstellung auf einem zweidimensionalen Display ist sehr gering oder gar negativ. Abstrakte Listen und Tabellen sind da einfach nützlicher. Evtl. kann sich das mit VR ändern. Wir werden es, denke ich, noch erleben.

Apropos VR. Die ist hier ganz klar zu kurz gekommen. Ob ich das aber schlecht finde, oder gut, weiß ich auch nicht. Dort hätten der Protagonist und die KI natürlich noch einmal ganz anders interagieren können. Allerdings hätte diese visuelle Komponente den Film wahrscheinlich zerstört. Aber in der Realität, glaube ich, werden sich KI und VR gegenseitig stark ergänzen.

Die großen Appartements und die völlig ungewohnt sauberen Straßen und Plätze wecken in mir aber zwei Interpretationen.

Erstens: Schöne Utopie, die Zukunft wird super.

Zweitens: Wir sehen hier nur die Oberschicht. Hinter der Kamera befinden sich wahrscheinlich die Slums.

Und das ist der abschließende Punkt, den ich erwähnen möchte, der aber nicht groß als Kritik verstanden werden soll. Denn natürlich will dieser Film eben ein Liebesfilm sein, der uns nur über die Beziehungen einiger weniger konkreter Menschen erzählt.

Der gesamtgesellschaftliche Aspekt wird dabei nicht beleuchtet. Keine Diskussionen über die politischen oder sozialen Folgen dieser sich bewusst werdenden künstlichen Intelligenzen. Keine Einblicke in die Entwicklungsteams, die diese Software entwickelt und, so vermute ich, auch noch überwachen. Das alles würde natürlich auch nicht in diesen Film passen. Und sehr wahrscheinlich würden wir hier auch nur die altbekannten abgedroschenen moralischen Überlegungen und Bewertungen zu hören bekommen.

Dass aber eine KI, von etlichen Menschen beobachten und miterlebt ein Bewusstsein entwickelt, sich verliebt und Menschen sich in sie verlieben und dann wieder verschwindet und abgesehen vom Liebeskummer einiger, sich sonst nichts verändert, gibt dem Film am Ende eine kleine Unwucht.

Ein Gedanke zu „her – ich liebe, also bin ich

  • Marcus

    Sehr schöne Ausführung. Liest sich wie ein Heimspiel 😉

    Antwort

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