Everybody’s Talking About Jamie
„Wie findest Du das neue pinkfarbene Auswärtstrikot der deutschen Nationalmannschaft?“, fragte ich meinen Vater. „Also meins ist es nicht.“, antwortete er. „Es steht für eine neue, eine tolerantere Zeit.“, entgegnete ich, „Wenn einer Deiner Enkelsöhne sich irgendwann für einen alternativen Lebensstil entscheiden würde, wäre das auch O.K.“. „Aber wünschen würde ich es ihm nicht.“. Gespräch beendet. Bei allem gebührenden Respekt steht diese Aussage für die Idiotie des letzten Jahrtausends. Sie diskreditiert nicht nur Menschen, die anders leben und lieben, sondern wiederstebt auch Allem wofür ich stehe. Akzeptanz. Wir spielen in unserem Sportteam mit Regenbogenbinde. Nicht etwa weil es woke ist. Sondern weil es zeigen soll, hier darf Jeder mitspielen, gleichwohl wen man liebt!
Ich mag den Film „Everybody’s talking about Jamie“, auch wenn ich selber an Musicals musikalisch eher weniger herankomme und es mir persönlich fremd ist in Pumps zu laufen als spektakulär zu empfinden. Aber Jamie, die Hauptfigur, ist ein straighter Typ, der trotz seiner alterstypischen Zweifel, viel mehr im Leben steht und auf ein Ziel fokusiert ist, als ich das mit 16 Jahren war. Und mit einer sehr feinen Charakterausprägung. Wie nimmt man denn Homosexualität sonst in Filmen wahr? Oft als Maskenbildnertussis die extrovertiert drüber wirken, wie beim Bruder von Mrs.Doubtfire oder etwa merkwürdig gestört kriminell wie beim talentierten Mr.Ripley. In welchem Film ist denn Homosexualität als völlig normal mal so nebenbei dargestellt, oder wo ist eine Hauptfigur queer und es ist nicht einmal ein Thema? Da muss noch einiges passieren, auch dass sich Niemand konservativeres daran stören würde. Am Besten fand ich bei demThema noch die Filme Philadelphia oder Dallas Buyers Club,
jedoch war das „anders sein“, und in den Fällen einhergehend die HIV-Pandemie, immer auch das Thema.
Mit Sheffield, einer englischen Arbeiterstadt mit Fabrikcharme, ist das triste Setting für diese Coming of Age-Story hier perfekt gewählt. Der maskulin geprägte Fußball regiert die Stadt. Sie wirkt zeitverloren britisch. Eine Dragqueen-Bar stellt eher die Ausnahme der Bevölkerung dar. Und mittendrin versteckt sich ein weiterer Outsider. Mit Jamies pakistanistämmigen muslimischen Freundin, die nur aus ihrer sozielen Schicht herauskommen kann, wenn sie Ärztin wird. Auch möchte man meinen, dass Schulen mittlerweile mal Konzepte erarbeitet haben, Diversität zu leben und nicht bei den kleinsten aufkommenden Regenbogenwolken einzubrechen. Aber Jamie geht gut aus der Story, findet seinen Weg. Jedoch in echt geht das nicht immer so leicht. Studien zufolge haben Jugendliche, die einer sexuellen Minderheit angehören ein deutlich erhöhtes Suizidrisiko. Die haben nicht immer ein so wohlwollendes kleines Umfeld wie Jamie und in der Realität läuft auch nicht Musical zur besseren Reselienz für alle. Und das bewegt mich schon.
Wie gesagt, es wäre kein Problem wenn einer meiner Söhne „anders“ wäre als die Masse. Wenn sich diese Baustelle auftun würde, würde wir auch diese souverän bearbeiten. Der Grund, warum ich es als „Baustelle“ betituliere, ist die auch heute noch fehlende Akzeptanz gerade außerhalb von Städten, wo dann doch Allen Alles ein bißchen mehr egal ist. Im Dörflichen geht mit „anders“ sein auch heute noch ein Kampf gegen Ausgrenzung einher. In der Schule (zur Klassenfahrt im selben Raum schlafen?), im Verein (nach dem Spiel noch gemeinsam duschen?), im öffentlichen Leben (zusammen gesehen werden um vielleicht noch in dieselbe Schublade gesteckt zu werden?). Da ist dann wirklich everybody talking about und den Leuten leider immer noch viel zu wichtig. Zukunft pink!