Captain Fantastic Kritik – Klappe, die Erste!
Mein erster Eindruck: Was ein Traum. Fernab von Allem. Autark selbst versorgend lebend.
In einer abgelegenen Hütte (hierzulande wahrscheinlich in einem Tiny-Haus) inmitten der
Wildnis (bei uns wahrscheinlich auf einem Acker in Brandenburg). Frei von jeglichen Zwängen.
Doch in den Nadelhölzern Nordamerikas ist das Leben etwas rauer.
Kann gut gehen, muss aber nicht. Wie im Film „Into the Wild“ zu sehen, ist die Natur
fernab von Medizin und jedweder Hilfe nicht unbedingt immer beherrschbar.
„Captain Fantastic“ ein Film von Matt Ross mit reichlich schön anmutenden Naturbildern
des selbstgewählten Idylls. Ich kenne den Filmemacher bislang nicht, weder als Regisseur,
noch als Schauspieler. Allerdings ich kenne Viggo Mortensen, den dänischen Hauptdarsteller.
Und was der hier zeigt, ist nicht umsonst mit einer Oskarnominierung honoriert worden.
Viel an Kritik hatte ich mir zunächst zurechtgelegt beim anfänglichen Schauen. Es hatte zu
Beginn etwas voyeuristisches, dieser Großfamilie zuzuschauen, die komplett anders tickt
als die breite Masse der uns bekannten westlichen Welt. Interessiert an deren Leben, aber
nicht wirklich mich mit ihnen identifizieren könnend. Viel zu hart wirkt der Vater,
seine 6 Kinder auf das Leben in der Natur trillend. Würde ich meine Kinder derart
lebensgefährlich an der Felswand klettern lassen? Niemals. Sie mit scharfen Waffen
hantieren lassen? Bin ich wahnsinnig? Ihnen zeigen, wie man Angreifer schwerwiegend
verletzen kann? Gehts noch? Ebenso spürt man quasi die angeknacksten Beziehungsprobleme
vor allem der beiden größeren Jungs zu ihrem autoritär wirkenden Vater. Dieser gibt auch
musikalisch den Takt vor. Die Kids warten bei Abweichungen immer erst auf seine
Reaktion, bevor sie sich dann trauen sich weiter zu entfalten. Er lehrt ihnen Quantenmechanik,
obwohl sie diese da draußen eher nicht gebrauchen können. Er schult sie in Geschichte, Politik
und Philosophie, ohne ihnen dabei aber ausreichend Toleranz für das Andere zu vermitteln.
Er schottet seine Familie lieber vor der Gesellschaft ab, als in einer bestehenden Gesellschaft
zu interagieren. Fantastic, oder phantastisch ist der Bedeutung nach außerhalb der
Wirklichkeit oder im Widerspruch zu ihr stehend. Und er ist der Kapitän.
Das Schöne ist, der Film löst seine Probleme in sich selbst. Durch diese zurückgezogene
Lebensweise macht er seine Kinder „zu Freaks, die zwar sämtliche Bücher kennen, aber nichts
vom richtigen Leben wissen können.“ Dass er eigentlich ein vom Suizid seiner psychisch
kranken Frau und wahrscheinlich durch ihre jahrelange Erkrankung zuvor betroffener,
allein seine Kinder beschützen wollender Vater ist, der etwas Probleme bei der Vermittlung
von Gefühlen hat, stellt sich nach und nach immer mehr heraus.
Die grundhaltende Kritik an die Verschwendung durch Konsum und am Kapital ist, wenn auch überspitzt
dargestellt, durchaus berechtigt. Was hat man im Enddefekt davon den tollen Sneaker zu besitzen,
oder durch Überernährung immer fetter zu werden?
Was hat man von einem riesigen Protzhaus, wenn man sich doch nur in einem Zimmer aufhalten kann?
Die Konsumkritik ist gut und witzig pointiert innerhalb des Aufeinandertreffens dieser beiden
Welten. Aber auch seine Familie benötigt Geld, wenngleich minimalistisch für ihr Leben in der Eremitage.
Instantsetzung kostet Geld. Die Vasen im Gewächshaus verwittern, Scheiben brechen, müssen erneuert
werden, Nähmaschinen benötigen neues Garn. Selbst der Dieselfressende Bus benötigt abgasfördernden
Treibstoff. Die Waffengeschenke für die Kinder sind mega teuer. Kapital wird also weiterhin benötigt,
es geht nicht komplett ohne. Da kann man die Geschenkerei auch als „Geburtstag“ von Wissenschaftler
und Rebell Noam Chomsky anstatt als Weihnachten ausweisen, macht aber in der Sache keinen Unterschied.
Im Laufe des Filmes wächst einem die Familie immer mehr ans Herz. Auch wenn die Kinder nicht
allesamt dieselbe Tiefe in der Charakterausprägung erhalten. Ich kann mir die meisten von ihnen
nicht mit Namen behalten. Den Essensdiebstahl im Einkaufszentrum nimmt man ihnen nicht krumm.
Ist schon O.K.. Auch mutet es nicht mal mehr merkwürdig an, wenn ein Kind auf der Beerdigung
plötzlich eine Gasmaske trägt. Natürlich, passt.
Thematisch Dinge wie Waffen, Alkohol, Sexualität, oder Details zur Selbsttötung der Mutter bereits mit
kleinen Kinder zu besprechen ist durchaus provokativ, passt aber ins Hippie-Bild vom freien ungezwungenen Leben. Ich bin da wohl gesellschaftlich geprägt moralisch eher zu spießig, dies so umsetzen zu wollen.
Dass am Ende das älteste Kind in die Welt losgelassen werden muss, damit es seine eigenen Erfahrungen
machen kann, ist Sinn der Sache und unausweichlich. Die Wildnis war der Plan der Eltern,
die Kinder müssen ihren Eigenen machen. Die Eltern der Sängerin Heather Nova stiegen in den 60ern auf
einer Insel der Bermudas aus. Nach einer idyllischen Kindheit dort, mussten alle 3 Kinder ausbrechen,
um ihr eigenes Leben zu leben. Heather Nova zog als international etablierte Sängerin in die Welt hinaus.
Mittlerweile lebt sie wieder auf Bermuda.
Der deutsche Subtitel zu „Captain America – Einmal Wildnis und zurück“ verrät, wieder einmal mehr, dass
die Reise im Sinne eines Happy Ends sehr wahrscheinlich zurückführen wird? Warum macht man so etwas? Ich meine, sitzt da Einer bei der deutschen Kinogesellschaft rum und wird dafür bezahlt, sich beknackte Zweitnamen für den Verkauf auszudenken? Damit Niemand denkt, es wäre ein neuer Superheldenfilm von Marvel oder DC.
Nachdem sich schließlich Alles zum Guten wendet, wäre es hierzulande wahrscheinlich schwieriger, die Kinder vor der Obhut des gesellschaftlich angeseheneren Großvaters zu bewahren, einfach indem sie sich im Bus verstecken und drei Bundesstaaten weiter gesetzlich untertauchen. Um vorher kurz nochmal die Mutter auszugraben. Dafür gäbe es sehr viel Ärger hier. Wahrscheinlich hätte das Jugendamt auch schon sehr viel früher agiert.
Sagte ich zu Anfang, ich könnte mich nicht mit dem Vater identifizieren, so hat er mich am Ende absolut
bekommen. Sein innerer Kampf für das Wohl seiner Kinder loszulassen war wahnsinnig gut gespielt.
Die letzte Szene, bei der er seine Kinder beim alltäglichen Frühstück beobachtet und damit glücklich wirkt
kann ich absolut nachvollziehen. Nichts materielles auf dieser Welt könnte mich mehr bereichern,
als den Augenblick gemeinsam mit meiner Familie zu erleben. Für mich ist er Captain Fantastic. Er macht
einen fantastischen Job. Aber auch die Kinder machen das allesamt sehr stark. Ein zum Nachdenken anregender Film.